Ein bewegtes Leben und ein Kaufhausturm
30. Januar 2024

Zahlreiche Gäste kamen in den Salon der Heinrich-Vetter-Stiftung, um einem Vortrag über den Schöpfer des einstigen „Vetter-Turms“ zu hören. Fritz Nathan (1891-1960), der vor 110 Jahren sein Architekturstudium erfolgreich absolviert hatte, war bedeutender Konstrukteur und Erbauer, aber auch von der Judenverfolgung der Nazis betroffen. Antje Geiter las zu Beginn Auszüge aus einem Brief von Nathans Tochter Doris, worin daran erinnert wurde, dass Nathan von 1921 bis 33, Bauwerke von großer bauhistorischer Qualität errichtete, wozu auch das spätere Kaufhaus Vetter und das „Pauline-Maier-Haus“ gehörten. Nathan, in Frankfurt daheim, richtete in M 5,7 ein Mannheimer Zweigbüro bis 1931 ein, denn er hatte in Mannheim und Heidelberg etliche industrielle und gewerbliche Bauaufgaben übernommen. Er baute die Handelskammer in M 6, das Hut- und Putzgeschäft „Samt & Seide“ in N 7, die Großgarage in der Rheinhäuser Straße und weitere Objekte, insgesamt 16 Baumaßnahmen allein in Mannheim. Hartwig Trinkaus, der den Vortrag mit passenden Bildern unterlegte, ging auf die Baugeschichte des 40 Meter hohen Kaufhauses ein. Erster Mieter war die „Deutsche Beamtenwarenversorgung“, die bald als „Deutsches Familienkaufhaus“ (DeFaKa) firmierte. 1937 zog hier das „Kaufhaus Vetter“ ein. Er sprach zum Großkino „Universum“ ebenso wie über das israelitische Altersheim in Mannheim. Am Neckar neben der Lessing-Schule gebaut, vollendete es Nathan 1931. Der Reichsführer SS beschlagnahmte das Haus Ende 1941 und vertrieb an Heiligabend die verbliebenen jüdischen Bewohner und Patienten. Das Gebäude, im Krieg schwer beschädigt, wurde 1954 von der Stadt Mannheim übernommen und zum kommunalen Altenheim gemacht. Ab 1964 wurde es nach Pauline Maier benannt. Sie war seit 1922 leitende Schwester und begleitete am 22. Oktober 1940 freiwillig Patienten zunächst ins Abschiebelager Gurs und im August 1942 nach Auschwitz, wo sie umgebracht wurde.Trinkaus ging auch auf Nathans Familiengeschichte ein. Bruder Otto war schon 1933 in die USA emigriert. Fritz, im Ersten Weltkrieg Freiwilliger Soldat für Deutschland, konnte nicht glauben, dass man auch ihn verfolgen würde. Erst im September 1938 flüchtete er aus Deutschland und über die Niederlande 1940 in die USA. Im Alter von 49 Jahren fasste er in einem Land mit fremder Sprache und anderem Maßsystem als Architekt wieder Fuß. In den folgenden 20 Jahren bis zu seinem Tod 1960 waren Synagogen mit Gemeindehäusern seine Hauptwerke im Staat New York. HVS/Bild: Helmut Jung